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1. Einführung

In einer Prozesskette können Störungen oder Schwankungen in der Durchlaufzeit irgendeines Prozesses zum Ausfall des Gesamtsystems führen. Die Störung bewirkt eine Verringerung der Systemleistung. Der Einsatz von Puffern zur Prozessentkopplung [1] kann diese Beeinträchtigungen verringern und die Leistung des Gesamtsystems verbessern. Jedoch entstehen dadurch Kosten für den notwendigen Platzbedarf und die erforderlichen technische Ausrüstungen. Puffer erlauben eine bessere Auslastung der Anlagen, die einen Engpass darstellen. Insbesondere dienen Puffer zwei Zielen: Sie reduzieren die Leerlaufzeit des nachfolgenden Prozesses durch Entnahme von Teilen aus dem Puffer an Stelle der direkten Kopplung, und sie reduzieren die Blockierungen vorangehender Prozesse durch das Aufnehmen der Teile in den Puffer [Roser03].

Wie in der Literatur angegeben wird, führt die Prozessentkopplung durch Nutzung von Puffern zu deutlichen Verbesserungen im Ablauf. Für die Bestimmung der erforderlichen Größe der Puffer können analytische Verfahren im Allgemeinen in kürzerer Zeit Optimierungslösungen liefern als die heute vorwiegend verwendeten Simulationen [Spieckermann03].

Die meisten der vorliegenden Arbeiten über das Pufferbelegungs-Problem diskutieren das Thema hinsichtlich der Verteilung einer bestimmten Anzahl an Pufferplätzen entlang einer Prozesskette (oder Fertigungslinie) und bewerten Belegungsstrategien an Hand der Systemleistung. Im Allgemeinen wurden zur Lösung des Problems zwei verschiedene Lösungsansätze gewählt [Spinellis00]. Der erste, als „bewertende Methode“ bezeichnete Ansatz, wie Simulation [Roser03], Dekomposition [Yamashita98] oder Markov-Modelle berechnen Leistungskennzahlen für Linien, die optimiert werden sollen. Die zweite Vorgehensweise ist eine generische Suche nach optimalen Werten mittels heuristischer Methoden, wissensbasierter Verfahren oder genetischer Algorithmen. In der Literatur werden sowohl effiziente Algorithmen zur Pufferbelegung [Gershwin00] als auch Heuristiken wie beispielsweise „Tabu Search“ und „Nested Partitions“ [Shi03] diskutiert.

Ein anderes häufig benutztes Verfahren zur Lösung des Pufferbelegungsproblems ist die Warteschlangentheorie. Eine umfangreiche Literaturübersicht zur Modellierung von Produktions- und Materialflusssystemen mit Hilfe der Warteschlangentheorie enthält [Papadopoulos96]. In [Dilling03] werden stochastische Modelle wie Markovketten und Markovsche Poisson-Prozesse angewandt, um Bestände in logistischen Netzwerken zu analysieren.

Einen analytischen Lösungsansatz enthält [Arnold05]. Danach hat die operative Lagerung in Materialflusssystemen „die Aufgabe, die stochastischen Schwankungen der nicht synchronisierbaren Ein-/Ausgangsströme zu kompensieren.“ Für einen normalverteilten Lagerbestand wird ein Verfahren zur Ermittlung der erforderlichen Anzahl von Lagerplätzen vorgestellt. Die Berechnung erfordert dazu die Kenntnis der Standardabweichung des Bestands. Problematisch wird es aber bei der Frage, wie diese Standardabweichung ermittelt werden kann: die vorgeschlagene Bestandsanalyse ist nur für bereits realisierte Lager möglich, und Prognosen sind im Allgemeinen zu ungenau und besitzen subjektiven Charakter.

In den frühen Planungsphasen (Konzeptplanung) ähneln sich die Aufgabenstellungen der Fertigungsplanung in vielen Industriezweigen, so auch im Karosseriebau sehr: Für den in Abb. 1 vereinfacht dargestellten Ablauf in Lackieranlagen der Automobilindustrie sind unter anderem Aussagen über die notwendigen Pufferplätze zwischen den einzelnen Stationen und Vorgaben für die Taktzeiten der einzelnen Bereiche zu treffen [Spieckermann03].

Abbildung 1: Vereinfachte Darstellung der Farbgebung in der Autoindustrie

Die Farbgebung ist ein wichtiges Element der Fahrzeugproduktion. Die Lackiererei ist in vielen Autofabriken ein Systemengpass wegen der Komplexität, die sich aus dem Ablauf, der Fertigungsstrategie und den strengen Qualitätsanforderungen ergeben. Oftmals werden in der Lackiererei Prozessschleifen durchlaufen, weil Mehrfachdurchläufe bei unterschiedlichen Farben notwendig sind oder Qualitätsmängel eine Nacharbeit erfordern [Li04]. Die Nutzung derartiger Prozessschleifen in Lackieranlagen wirkt sich wesentlich auf den Systemdurchsatz und die Durchlaufzeit aus. Weiterhin werden einige Anlagenteile auf Grund begrenzter Kapazität parallel angeordnet, was ebenfalls den zeitlichen Ablauf beeinflusst.

Über die vor- und nachgelagerten Puffer muss gewährleistet werden, dass der Produktionsrhythmus eingehalten wird und in jedem Takt:

  • ein Fahrzeug aus dem vorhergehenden Prozess im Puffer aufgenommen werden kann und

  • der nachfolgende Montagebereich mit lackierten Fahrzeugen versorgt wird.

2. Problemstellung

Für die hier betrachtete Problemstellung kann die Sichtweise der Bedienungstheorie nicht einfach übernommen werden. Der Puffer zwischen zwei Vorgängen, der durch die Schwankung der Vorgangsdauer des ersten, vorangehenden Prozesses entsteht, erzeugt eine Warteschlange auf Grund des Wartens bis zur Entnahme durch den nachfolgenden Prozess. Allerdings unterscheidet sich das Verhalten dieser Warteschlange von dem, wie es in der Warteschlangentheorie verwendet wird. Dort entsteht die Warteschlange im Ergebnis des Wartens auf Bedienung: Die Forderungen warten, bis die Bedienstation frei ist, es gibt also eine Abhängigkeit vom aktuellen Zustand. Im Modell hier wird aber auf die nächste Entnahme durch den nachfolgenden Prozess gewartet. Diese Entnahme erfolgt zu definierten Zeitpunkten und unabhängig vom aktuellen Zustand. Daher ist der zweite Prozess nicht als Bedienprozess im Sinne der Warteschlangentheorie zu verstehen. Das führt zu einer unterschiedlichen mittleren Warteschlangenlänge in den beiden Modellen. Obwohl sich das Verhalten scheinbar nur wenig voneinander unterscheidet, führt es doch zu deutlich abweichenden Ergebnissen.

Im vorliegenden Fall wird eine Fertigungslinie, bestehend aus zwei Prozessen und einem Puffer, modelliert (Abb. 2). Prozess A könnte dabei die Lackiererei aus Abb. 1 darstellen und Prozess B die Montagelinie. In diesem speziellen Fall wird jeweils eine ankommende Einheit innerhalb eines Taktes Prozess A zugeführt, und gleichzeitig entnimmt der zweite Prozess eine Einheit aus dem Puffer. Damit wird unterstellt, dass beide Prozesse mit gleicher Taktzeit tT arbeiten müssen (Stabilitätskriterium). Schwankungen in der Dauer von Prozess A (z. B. bedingt durch Nacharbeit) führen dazu, dass die Bearbeitung der Einheiten

  • entweder zu spät beendet ist (dann muss Prozess B warten, falls der Puffer leer ist, was letztendlich zu verringerter Auslastung und damit einer Leistungsreduzierung des Gesamtsystems führt),

  • oder aber zu früh (in diesem Fall muss die Einheit selbst warten und bei fehlendem oder zu kleinem Puffer eventuell auch noch weitere, nachfolgende Einheiten. Im schlimmsten Fall muss sogar Prozess A angehalten werden).

Abbildung 2: Modell einer Fertigungslinie mit Entkopplungspuffer

Ein ausreichend großer Puffer kann einen Ausgleich der Zeitschwankungen übernehmen und hohe Auslastungen insbesondere der kritischen Prozesse garantieren. Der Preis dafür ist ein zusätzlicher Zeitaufwand (Pufferverweilzeit). Doch wie kann man die erforderliche Größe derartiger Puffer ermitteln?

In den nächsten beiden Abschnitten soll diese Frage beantwortet und mit den Ergebnissen von Simulationsuntersuchungen verglichen werden. Zuvor aber noch eine Anmerkung.

In der Praxis lassen sich Durchlaufzeiten durch Beobachtung (Zeitmessung) oder Auswertung betriebsinterner Daten ermitteln. Mit der Darstellung als Histogramm entsteht gleichzeitig eine diskrete statistische Verteilung, mit der die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Durchlaufzeiten beschrieben wird. Für eine Reihe mathematischer Modelle (z. B. Warteschlangentheorie) ist die Approximation auf eine theoretische, stetige Verteilung erforderlich, weil nur für einige wenige Verteilungsfunktionen exakte Lösungen vorliegen.

Die Autoren haben in [Meinhardt05] ein Verfahren vorgestellt, mit dem quantifizierbare Aussagen zum stochastischen Zeitverhalten ermittelt werden können. Mit Hilfe des entwickelten Berechnungswerkzeugs können sowohl stetige als auch diskrete Verteilungen für Einzelprozesse verwendet und zu einer Prozesskette verknüpft werden. Im Ergebnis entsteht eine diskretisierte Verteilung der Gesamt-Durchlaufzeit. Es wird dabei unterstellt, dass damit alle anfallenden Zeiten (Bearbeitungs-, Rüst-, Transport-, Ausfallzeiten, aber auch die eventuell auftretenden Wartezeiten) bereits berücksichtigt sind. Auf Grund dieser Voraussetzung kann davon ausgegangen werden, dass diese stochastischen Zeitverteilungen uneingeschränkt realisierbar sind (keine Blockierung, keine Kapazitätsbegrenzung

Darauf aufbauend wird im folgenden Abschnitt ein Modell entwickelt und eine Antwort auf obenstehende Fragestellung hergeleitet. Anschließend erfolgt eine theoretische Verallgemeinerung, indem die diskrete Verteilung durch eine stetige Verteilung ersetzt wird.

3. Analytisches Verfahren bei diskreter Zeitverteilung

Wie bereits dargelegt, sind maßgebliche Einflussgrößen die Systemtaktzeit tT und die Verteilung der Durchlaufzeit von Prozess A. In jedem Takt beginnt eine Einheit die Bearbeitung sowohl im Prozess A als auch in Prozess B, wobei letztere stets aus dem Puffer entnommen wird. Die Durchlaufzeit Τ wird als Zufallsgröße angesehen und liegt im Intervall [tmin, tmax].

Betrachtet man die (zeitliche) Reihenfolge der gestarteten Objekte als Aufgabesequenz [2], die sich pro Takt um einen Platz weiterbewegt (Abb.3), so ergibt sich vom Startzeitpunkt bis zum Erreichen von tmin eine Sequenz, bei der zunächst alle Plätze belegt sind (die formale Darstellung P(Sm=1)=1 wird interpretiert als „Wahrscheinlichkeit (Platz m der Sequenz belegt) = 1“). Im weiteren Verlauf entstehen Lücken, weil mit dem Ende der jeweiligen Durchlaufzeit der Übergang in den Puffer erfolgt, bis schließlich ab dem Zeitpunkt tmax alle Plätze der Sequenz leer sind (P(Sm=1)=0).

Wird die Differenz aus der Schwankungsbreite (tmax – tmin) durch die Taktzeit geteilt, führt dies zur durchlaufzeitvariablen Taktanzahl NB,max. Sie ist gleichbedeutend mit der maximal möglichen Anzahl an Einheiten, die pro Takt am Entkopplungspuffer ankommen können.

(1)

Abbildung 3: Problembeschreibung mit dem Modell Aufgabesequenz

Die Verteilung der Durchlaufzeit sei diskretisiert und äquidistant, so dass sich die Durchlaufzeit stets als ganzzahliges Vielfaches eines Zeitschrittes Δt ergibt.

(2)

Zunächst soll angenommen werden, dass dieser Zeitschritt mit der Taktzeit übereinstimmt.

(3)

Für die weitere Betrachtung kann der konstante Anteil der Durchlaufzeit eliminiert werden, so dass als Zufallsgröße verbleibt

(4)

Als Dichtefunktion und (kumulierte) Verteilungsfunktion der Durchlaufzeit seien f(i) bzw. F(i) bekannt. Die Dichtefunktion f(i) beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass die Durchlaufzeit zwischen den Takten i-1 und i endet. Im folgenden wird dafür „beträgt i Takte“ verwendet.

(5)

Die Verteilungsfunktion

(6)

bildet die Summe dieser Einzelwahrscheinlichkeiten und bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, das die Durchlaufzeit vor dem Ende des i-ten Taktes beendet ist, also maximal i Takte beträgt.

Daraus folgt aber, dass 1-F(i) die Wahrscheinlichkeit darstellt, dass die Durchlaufzeit mit dem i-ten Takt noch nicht beendet und damit der Platz in der Sequenz noch belegt ist.

(7)

Für die Sequenz kann demnach eine Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, dass Platz m belegt (Sm=1) bzw. nicht belegt ist (Sm=0) (Abb. 4).

(8)

Die bereits oben eingeführte Beschränkung auf das Intervall [tmin, tmax] führt zu

(9)

Die Voraussetzung einer getakteten Arbeitsweise in diesem Modell bedeutet, dass die Anzahl der Einheiten in jedem Zeitschritt konstant bleibt. Das wiederum heißt, dass sich eine Einheit

  • mit der Wahrscheinlichkeit P(Sm=1) noch in der Bearbeitung und

  • mit Wahrscheinlichkeit P(Sm=0) bereits im Puffer befindet.

(10)

Abbildung 4: Aus der Durchlaufzeit-Verteilung (oben Dichte-, unten Verteilungsfunktion) abgeleitete Funktion für den Übergang in den Puffer (blaue Linie)

Jeder nicht belegte Platz in der Sequenz entspricht demnach einer Einheit im Puffer, so dass sich die Pufferbelegung B(t) zum Zeitpunkt t ergibt aus der Summe der dann gerade freien Plätze.

(11)

Die Fortsetzung der wahrscheinlichkeitstheoretischen Betrachtung führt zu einem kombinatorischen Problem, das in Tabelle 1 an Hand eines einfachen Beispiels mit NB,max = 4 dargestellt ist. Es sind alle möglichen Zustände der Belegung der 4 Plätze (S1 bis S4) aufgeführt (linker Teil der Tabelle). In der Mitte sind die Summe der Belegung und damit die Anzahl der Einheiten im Puffer angegeben, und rechts die zugehörigen Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten des Zustands.

Eine gleiche Pufferbelegung kann durch verschiedene Sequenzen entstehen. Eine Zustandswahrscheinlichkeit für eine bestimmte Anzahl Einheiten im Puffer (z. B. n = 1) ergibt sich demnach als Summe der Wahrscheinlichkeit möglicher Varianten (je Zeile in Tabelle 1), die wiederum durch Multiplikation der Wahrscheinlichkeit eines belegten bzw. nicht belegten Platzes der Sequenz entstehen.

Tabelle 1: Sequenzbelegung und Wahrscheinlichkeit der Pufferbelegung bei NB,max = 4

Verallgemeinert man das dargestellte Beispiel, so ergibt sich damit eine Wahrscheinlichkeit, dass sich beispielsweise eine Einheit im Puffer befindet zu

(12)

Unter der Annahme F(1)= F(2) = F(3) = ... = F(NB,max) = p könnte die Zustandswahrscheinlichkeit B(i) mit i Einheiten im Puffer ermittelt werden mit:

(13)

Gleichung (13) entspricht dann genau der Binomialverteilung [3]

(14)

mit den statistischen Momenten

(15)

(16)

Im Falle der Binomialverteilung wird in jedem der n = 1, 2, … N Versuche eine gleiche Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, mit der ein Ereignis eintritt (p) oder nicht eintritt (1-p).

Im vorliegenden Fall heißt das, es gibt den Zustand (=Ereignis), dass die Einheit bereits im Puffer (p) oder noch in Bearbeitung (1-p) ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber nicht in allen „Versuchen“ gleich, sondern hängt ab, wie weit eine Einheit in der Sequenz vorgerückt ist: Je weiter es sich dem Maximalwert nähert, um so größer ist Wahrscheinlichkeit, bereits im Puffer zu sein. Mathematisch ergibt sich dies auf Grund von Gleichung (6).

Ersetzt man daher das Produkt in Gleichung (15) durch die Summe der unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten F(k) über die NB,max Takte, ergibt sich zunächst für den mittleren Pufferbestand (genauer eigentlich für die mittlere Zahl der freien Plätze in der Sequenz):

(17)

Analog wird in Gleichung (16) das Produkt durch die Summe der Wahrscheinlichkeiten über die NB,max Takte ersetzt. Damit ergibt sich für die Varianz des Pufferbestands:

(18)

In Gleichung (3) war zunächst angenommen worden, dass die Schrittweite Δt mit der Taktzeit tT übereinstimmt: Innerhalb der Schrittweite Δt bewegt sich die Sequenz dann genau um einen Platz weiter. Reduziert man die Schrittweite beispielsweise auf die Hälfte, dann bedeutet das, dass sich die Sequenz nur noch in jedem zweiten Schritt um einen Platz weiterbewegt. In der Verallgemeinerung wird damit aus den Gleichungen (17) und (18)

(19)

(20)

Nach dem Grenzwertsatz von de Moivre/Laplace [4] lässt sich bei einem hinreichend großen Stichprobenumfang die Binomialverteilung relativ gut durch die Normalverteilung f(E(B),σ2(B)) annähern [Papoulis84]. Damit kann die weitere Dimensionierung analog zu [Arnold05] erfolgen. Die dafür erforderlich Standardabweichung σ(B) kann aus Gleichung (20) ermittelt werden.

(21)

Es ergibt sich demnach, dass der Bestand im Puffer als normalverteilt im Intervall [Bmin, Bmax] angenommen werden kann. Bmin und Bmax können als Quantile der Normalverteilung mit einer vorgegebenen Sicherheit 1-α abgeschätzt werden (Abb. 5), so dass gilt:

(22)

Abbildung 5: Bestimmung von Bmin und Bmax bei normalverteiltem Bestand

Tabelle 2: Ausgewählte z-Werte der Standardnormalverteilung

Da sich das Integral der Verteilungsfunktion der Normalverteilung nicht auf eine elementare Stammfunktion zurückführen lässt [Stuart94], wird für die Berechnung auf den tabellierten z-Wert der Standardnormalverteilung zurückgegriffen (Tabelle 2)

(23)

Die erforderliche und damit optimale Größe des Puffers Bopt kann dann als Differenz zwischen Bmin und Bmax berechnet werden. [5]

(24)

Mit Gleichung (24) liegt damit eine Berechnung der optimalen Puffergröße vor, in der neben der Genauigkeit α nur statistische Größen aus der Durchlaufzeit-Verteilung einfließen.

Ein einfaches Beispiel soll die Anwendung zeigen.

Beispiel: Für eine Produktionslinie wird ein Puffer zwischen zwei Prozessen geplant. Die Durchlaufzeit des ersten Prozesses sei bekannt und liegt zwischen tmin= 20 und tmax= 31 Minuten, die Taktzeit betrage tT = 1 Minute. Daraus ergibt sich nach Gleichung (1) die durchlaufzeitvariable Taktanzahl NB,max = 11. Tabelle 3 enthält die Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Durchlaufzeiten (mit Δt = tT) sowie die Berechnung der Varianz des Bestandes nach Gleichung (20).

Tabelle 3: Durchlaufzeit-Verteilung – Beispiel

Das Ergebnis der Berechnung in der letzten Zeile von Tabelle 3 ist die Varianz des Bestandes. Mit einer Sicherheit [6] von 1-α > 99,99% (entspricht nach Tabelle 2 einem z1-α/2=3,891) ergibt die Anwendung von Gleichung (24) einen Wert von Bopt = 8,06 und damit die optimale Puffergröße von 9 Stellplätzen. Für die höhere Sicherheit 1-α > 99,999% wird Bopt = 9,15.

Zur Überprüfung der Ergebnisse wurden jeweils Vergleiche mit einem Simulationsmodell vorgenommen. Generell konnte eine gute Übereinstimmung der Kennzahlen nachgewiesen werden. Im konkreten Fall dieses einfachen Beispiels ergibt sich aber wegen der geringen Anzahl der Durchlaufzeittakte (NB,max = 11) sowohl für die Varianz (Simulation: V(B) = 1,144, Abweichung 3,3%) als auch die Verteilung des Bestandes eine relativ große Abweichung.

Für das in [Meinhardt05] vorgestellte Beispiel eines Zulieferernetzwerkes in der Automobil-industrie wurde aus der ermittelten Gesamt-Durchlaufzeitverteilung und der Annahme einer Taktzeit von tT = 1 Minute nach Gleichung (24) die optimale Puffergröße bestimmt. In Abhängigkeit von der gewählten Sicherheit α wurden die in Tabelle 4 zusammengefassten Ergebnisse ermittelt. Im Vergleich dazu ergab die Simulation eine mittlere Pufferbelegung von 85 und einen maximalen Bedarf von 173 Plätzen.

Tabelle 4: Optimaler Bestand in Abhängigkeit von der gewählten Sicherheit 1-

Abbildung 6: Durchlaufzeitverteilung (unten) und daraus ermittelte Bestandsverteilung (oben) für das Zulieferernetzwerk nach [Meinhardt05]

4. Verallgemeinerung des Verfahrens bei stetiger Zeitverteilung

Wie im vorigen Abschnitt dargelegt, sind die Gleichungen (19) und (20) die diskretisierte Form zur Ermittlung der Parameter der Bestandsverteilung. Sie enthalten die diskrete Verteilung der Durchlaufzeit bei einem Zeitschritt Δt. Um zu einer Verallgemeinerung des analytischen Verfahrens zu gelangen, ist der Übergang zu stetigen Verteilungsfunktionen erforderlich. Es ergibt sich für eine Lösung durch Integration von Gleichung (20), die Summation wird zum bestimmten Integral von tmin bis tmax.

(25)

Die einfachste stetige Verteilung ist die Gleichverteilung [Stuart94] mit der Dichte- bzw. Verteilungsfunktion

(26)

(27)

und dem Erwartungswert bzw. der Varianz

(28)

(29)

Die Bedingung in Gleichung (27) wurde bereits bei der Durchlaufzeit-Verteilung eingeführt, so dass die Varianz des Bestands durch das bestimmte Integral berechnet werden kann.

(30)

Beim Vergleich mit Gleichung (29) kann ein Zusammenhang zur Varianz V(t) bzw. der Standardabweichung der gleichverteilten Durchlaufzeit (σG) festgestellt werden.

(31)

Das Einsetzen von Gleichung (30) in Gleichung (24) ergibt für die optimale Puffergröße bei gleichverteilter Durchlaufzeit

(32)

Die Puffergröße ist in diesem Fall neben der Taktzeit und dem z-Wert der Standardnormalverteilung nur von der minimalen und maximalen Durchlaufzeit abhängig.

Im folgenden Beispiel wird eine gleichverteilte Durchlaufzeit mit tmin = 80 und tmax = 120 Minuten für den ersten Prozess angenommen. Bei einer Taktzeit von tT = 1 min ergibt sich dann nach Gleichung (31) für die Varianz des Bestands V(B)=6,667 (Simulation: 7,128). Eine Taktzeit von tT = 2 min führt dann zu V(B)=3,333 bzw. 3,390 (Simulation). Die Puffergröße selbst ist – wie im vorigen Abschnitt gezeigt – wiederum abhängig von der Sicherheit 1-α.

Die Bestandsverteilung (Abb. 7) zeigt deutlich, dass die Annahme einer Normalverteilung in der analytischen Betrachtung durch die Simulationsstatistik bestätigt wird.

Abbildung 7: Vergleich der Bestandsverteilungen bei gleichverteilter Durchlaufzeit

Auch für einige andere Durchlaufzeit-Verteilungen kann das Integral aus Gleichung (25) relativ einfach gelöst werden.

Bei einer Exponentialverteilung mit dem Parameter λ und der Verteilungsfunktion

(33)

ergeben sich die Kennwerte zu

(34)

Die Varianz des Bestands nach Gleichung (25) wird nach Integration zu:

(35)

Etwas aufwändiger wird die Berechnung bei einer Erlang-k-Verteilung:

(36)

Um den Zusammenhang zwischen der optimalen Puffergröße und der zugehörigen Durchlaufzeitverteilung zu analysieren, wird in Anlehnung an Gleichung (31) bzw. (35) eine Variable CB definiert mit:

(37)

Das Einsetzen von Gleichung (37) in (24) ergibt für die optimale Puffergröße Bopt dann die folgende Beziehung, mit der ein Zusammenhang zwischen der Standardabweichung der Zeitverteilung und dem Bestand hergestellt werden kann:

(38)

Die Bestimmung von CB wurde für verschiedene Verteilungsfunktionen der Durchlaufzeit vorgenommen. Die mittlere Durchlaufzeit wurde dabei in allen Fällen mit E(T) = 100 Minuten bei einer Taktzeit von tT = 1 Minute einheitlich festgelegt. Für die Varianz des Bestandes erfolgte bei Gleich-, Exponential- und Erlang-4-Verteilung die Berechnung nach den Gleichungen (31, 35 und 36). Für die anderen Verteilungen (Normal-, Gamma-, Beta-, Dreieck-, Lognormal- und Weibull-Verteilung) wurden die Berechnung auf Basis des Verfahrens mit diskretisierten Verteilungen (Gleichung 24) vorgenommen.

Tabelle 5: Vergleich der CB bei unterschiedlichen Durchlaufzeitverteilungen

Gleichverteilung: CB = 0.5773

Exponential: CB = 0.5000

Normal: CB = 0.5642

Erlang 4: CB = 0.5469

Gamma: CB = 0.5597

Beta: CB = 0.5711

Dreieck: CB = 0.5716

Lognormal: CB = 0.5552

Weibull: CB = 0.5496

Tabelle 5 stellt die unterschiedlichen Verläufe der Dichtefunktionen und die Werte für CB dar. Es ist auffällig, dass CB nur Werte zwischen 0,5 (Exponentialverteilung) und 0,5773 (Gleichverteilung) annimmt.

Weitere Berechnungen mit unterschiedlichen Parametern der Verteilungsfunktionen ergaben, dass der Wert CB bei Gleich-, Exponential- und Normalverteilung konstant bleibt. Bei anderen Funktionen konnte ein Zusammenhang mit dem Form-Parameter („shape“) erkannt, aber nicht näher bestimmt werden. Abbildung 8 fasst die Ergebnisse zusammen.

Abbildung 8:Größe von CB bei unterschiedlichen Zeitverteilungen

5. Zusammenfassung und Ausblick

In diesem Artikel wird ein analytisches Verfahren vorgestellt, mit dem die optimale Puffergröße zur Prozessentkopplung in einer getakteten Fertigungslinie (z. B. in der Automobilindustrie) bestimmt werden kann. Das entwickelte Verfahren kann sowohl mit ausgewählten stetigen Verteilungen der Durchlaufzeit (Exponential-, Gleich- oder Erlang-Verteilung) als auch allgemein mit beliebigen diskreten Verteilungen angewandt werden. Die Genauigkeit der auf diese Weise analytisch bestimmten Ergebnisse wurde durch den Vergleich mit Simulationsuntersuchungen bestätigt.

Zur Analyse des Zusammenhangs zwischen Puffergröße und Durchlaufzeit-Verteilung wurde eine Größe CB eingeführt und für verschiedene Zeitverteilungen bestimmt. Es konnte festgestellt werden, dass diese Größe vor allem abhängig ist vom so genannten Form-Parameter der Durchlaufzeit-Verteilung. Da es für Gleich-, Exponential- und Normalverteilung einen solchen variablen Form-Parameter nicht explizit gibt, ist CB in diesen Fällen konstant.

Das vorgestellte Berechnungsverfahren ist nur anwendbar, wenn die eingangs genannten Voraussetzungen erfüllt sind:

  • getaktete Arbeitsweise der vor- und nachgelagerten Prozesse

  • Möglichkeit des „Überholens“ von Einheiten: bei längeren Durchlaufzeiten können Einheiten aus späteren Takten eher am Puffer eintreffen

  • Entkopplungspuffer nur zum Ausgleich von Zeitschwankungen (d.h. keine weiteren logistischen Funktionen wie z. B. Sortieren, Kommissionieren, o. ä.)

In anderen Prozessen der verarbeitenden Industrie können auch nicht getaktete Ankunftsprozesse in einem Puffer zwischengelagert werden, um sie anschließend in getakteten Prozessen weiter zu bearbeiten. So erfolgt beispielsweise der Wareneingang im Unternehmen auf Grund von festgelegten Bestellmengen, Ladungsgrößen oder Lieferterminen im Allgemeinen in nicht konstanten, zufälligen Zeitabständen, während die Produktion durchaus getaktet erfolgen kann. Mit verschiedenen logistischen Konzepten, wie Just-In-Time, wird zwar auf eine verbrauchsnahe Anlieferung orientiert, eine getaktete Ankunft lässt sich damit aber nicht realisieren.

Ein anderer Fall ist ein zwar getakteter Ankunftsprozess im Puffer (z. B. als Ergebnis automatisierter Prozesse, Fertigungslinien usw.), bei dem die Entnahme aus dem Puffer aber in nicht konstanten Zeitabständen erfolgt (Vertrieb).

In beiden Fällen wird die Größe des Puffers maßgeblich durch die Unregelmäßigkeit von Ankunft bzw. Entnahme bestimmt. Das in diesem Artikel betrachtete Verfahren orientiert (hier vielleicht besser: „orientiert sich nur am Ausgleich“ oder „konzentriert sich nur auf den Ausgleich“) nur auf den Ausgleich von Schwankungen auf Grund einer variablen Durchlaufzeit und kann auf die letztgenannten Fälle nicht angewendet werden.

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[1] Im Kontext der Bestandsverwaltung kann "Entkopplung" eine Kostenersparnis bewirken, weil jedem Prozess maximale Effizienz gestattet wird, anstatt die Geschwindigkeit des Gesamtprozesses vom Langsamsten bestimmen zu lassen.

[2] Die Sequenz betrachtet ausschließlich den zeitlichen Verlauf und nicht den physischen Aufenthaltsort des Objekts. Das Eintreffen an einem Entkopplungspuffer ist natürlich an einen konkreten Ort gebunden, der aber jeweils nach unterschiedlicher Zeit erreicht wird.

[3] Die Binomialverteilung gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass ein bestimmtes Ereignis bei N unabhängigen Ausführungen eines Experimentes genau k-mal eintrifft, wenn es bei einer Einzelausführung die Wahrscheinlichkeit p besitzt.

[4] In der Literatur findet man, dass die Bedingung erfüllt sein soll. Allerdings gibt es auch bei kleineren Werten oft ausreichende genaue Ergebnisse, wie das nachfolgende Beispiel zeigt.

[5] In der Praxis wird häufig noch ein Sicherheits- oder Mindestbestand verwendet, der zusätzliche Unsicherheiten bzw. Störungen einkalkuliert, hier aber unberücksichtigt bleibt.

[6] Die Sicherheit 1-α für die Bemessung des Entkopplungspuffers kann hier im Sinne von Zuverlässigkeit verstanden werden: Der Puffer wird nur dann wie beabsichtigt und damit zuverlässig funktionieren, wenn die Zustände „Puffer leer“ bzw. „Puffer überfüllt“ nahezu nie eintreten. Ein völliger Ausschluss für das Auftreten dieser Zustände ist aber nicht möglich.

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